Die Trolle by Christoph Hardebusch
Autor:Christoph Hardebusch [Hardebusch, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-08-27T10:38:24.125000+00:00
31
Die Sonne schien durch die Ritzen in den geschlossenen Fensterläden, als Flores erwachte. Auf seinem Lager auf dem Holzfußboden atmete Natiole leise und regelmäßig. Da ihr Freund das Zimmer nur selten verließ, um die Gefahr des Entdecktwerdens möglichst gering zu halten, saßen sie beide häufig bis spät in die Nacht zusammen in ihrem Zimmer, erzählten sich Geschichten und redeten über alles Mögliche.
Glücklicherweise hatte Natiole es irgendwann aufgegeben, sie vom Sinn und Zweck des blutigen Freiheitskampfes überzeugen zu wollen, sodass sie kaum noch gestritten hatten, auch wenn der Wlachake sie mehr als einmal als stur bezeichnet hatte, weil sie sich geweigert hatte, ihm Gehör zu schenken.
Grinsend setzte Flores sich auf die Kante ihres Bettes und griff nach einem Krug mit kühlem Wasser, das ihr die Kehle hinunterrann wie bester Wein. Ein paar Tropfen spritzte sie sich ins Gesicht, um den Schlaf zu vertreiben.
Ihre Erinnerungsabende schienen immer im Wein zu enden, von dem Natiole einiges vertrug und dem Flores auch nicht abgeneigt war. Aber gestern hatte sie sich zurückgehalten, auch wenn ihr das den Spott des Rebellen eingebracht hatte, denn heute wartete Arbeit auf sie, und da wollte sie frisch und ausgeruht sein.
Mit einem Seufzen drehte sich Natiole auf seinem Lager herum. Aufmerksam betrachtete Flores das Gesicht ihres alten Freundes, der sich in die raue Wolldecke gewickelt hatte, sodass nur sein Kopf zu sehen war. Wenn er schlief, entspannten sich Natioles Gesichtszüge, und er wirkte viel friedlicher.
Auf seinen Wangen zeichnete sich der dunkle Schatten eines Bartes ab. Die Falten und Fältchen bemerkte man nur selten, wenn er wach war und ihm sein jungenhafter Schalk aus den Augen blitzte. Eine weiße, kaum sichtbare Narbe über dem linken Auge spaltete die Braue und zeugte von den Kämpfen, die der Krieger schon erlebt hatte. Auch wenn er im Gesicht keine Zeichen weiterer Verwundungen trug, so wusste Flores doch, dass mehr als eine Narbe seinen drahtigen Körper zierte. Narben sind Erinnerungen an die Fehler, die wir gemacht haben, dachte die Wlachakin philosophisch, damit wir sie nicht vergessen und wiederholen. Trotzdem dankte sie den Geistern dafür, dass sie selbst trotz ihrer nicht ungefährlichen Profession bislang nur zwei Verletzungen davongetragen hatte, die sichtbare Spuren hinterlassen hatten. Wenn man allerdings keine Fehler macht …,überlegte sie grinsend, wurde aber von einem Klopfen an der Tür aus den Gedanken gerissen.
»Einen Augenblick!«, rief sie, sprang hastig auf und versuchte am Schein der Sonne zu erkennen, wie spät es sein mochte, denn eigentlich hatte sie gedacht, mehr Zeit zu haben, bis sie sich auf den Weg machen musste. Habe ich so lange geschlafen?, fragte sie sich, als sie fieberhaft ihre Kleidung zusammenraffte und hineinschlüpfte.
Die Geräusche weckten Natiole, der sich zunächst schlaftrunken umsah, dann aber sofort die Lage erfasste und ebenfalls seine Sachen zu einem Bündel zusammenrollte, das er hinter Flores’ Bett warf. Dann huschte er leise neben die Tür, sodass diese ihn verdeckte, als Flores sie öffnete. Schlagartig erinnerte sie sich an den letzten morgendlichen Besucher und erwartete halb einen Angriff, doch stattdessen sah sie einen Mann, der einen dicken Umhang übergeworfen und die Kapuze in die Stirn gezogen hatte.
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